Menschen fragen mich oft, wie man Bestatter wird. Viele in diesem Beruf haben selbst Erfahrungen mit dem Tod gemacht, die sie geprägt haben. So auch ich.
Als meine geliebte Oma 2011 völlig unerwartet von uns ging, brach eine Welt für mich zusammen. Das letzte Mal sah ich sie auf der Intensivstation – umgeben von piependen Monitoren, an Schläuchen und Geräten angeschlossen, so verändert, dass es kaum noch die Oma war, die ich kannte. Ihr warmes Lächeln, ihre sanften Hände – alles überlagert von der Kälte der Apparatemedizin.
Dann kam die Nachricht, dass sie nicht mehr da war. Und mit ihr kam eine Sehnsucht, die mich bis heute nicht loslässt: Wie gerne hätte ich sie noch einmal gesehen. Nicht auf der Intensivstation, nicht zwischen Maschinen und sterilen Wänden – sondern in Würde. Ich wollte ihre Hand noch einmal halten, ihre weiche Haut streicheln, ihren vertrauten Geruch einatmen. Ich wollte mich zu ihr setzen, ihr ins Ohr flüstern, wie sehr ich sie liebe, ihr einen letzten Kuss auf die Stirn geben. Nur ich und sie. In Ruhe. In Frieden. Ohne Eile, ohne fremde Blicke.
Doch diese Möglichkeit blieb mir verwehrt. Während ich mit meiner Trauer rang, saßen wir als Familie beim Bestatter – einem alteingesessenen Haus in unserem Ort – an einem Schreibtisch. Eine Barriere zwischen uns und ihm. Es fühlte sich an, als würden wir ein Auto kaufen: Kataloge wurden durchgeblättert, Optionen abgehakt, Entscheidungen abgefragt. Sachlich. Distanziert. Schrecklich. Die Fragen wurden nur an einen einzelnen gerichtet, während wir anderen daneben saßen. Jeder von uns versuchte allein, mit dem Unfassbaren klarzukommen. Es gab keinen Raum für gemeinsame Trauer, keine Zeit für einen persönlichen Abschied, keine Gelegenheit, das Unbegreifliche begreifbar zu machen.
Dann kam der Tag der Trauerfeier. Die Kapelle war kalt und ungemütlich – dabei hatte Oma es doch immer so gerne warm und behaglich. Die Trauerrednerin sprach über ein Leben, aber es fühlte sich nicht wie Omas Leben an. Die Worte klangen gekünstelt, die Stimme verstellt, es fehlte jede Authentizität. Ich saß dort und dachte: Das ist nicht meine Oma, von der hier gesprochen wird. Und als die Urne zum Grab getragen wurde, durfte ich es nicht selbst tun. Die Frage stand nicht einmal im Raum. Es war einfach nicht vorgesehen.
Diese Erfahrungen – all diese kleinen und großen Momente, in denen ich mir etwas anderes gewünscht hätte – haben mich für immer verändert. Sie wurden zu meiner Berufung.
Heute, als Bestatter und Trauerredner, begleite ich Menschen durch ihre dunkelsten Stunden – mit genau der Fürsorge, Empathie und Zeit, die ich mir damals so verzweifelt gewünscht hätte. Ich durfte bereits viele Familien auf diesem schweren Weg begleiten, und jede einzelne hat mich darin bestärkt, dass ein anderer Weg möglich ist.
Bei uns sitzen Sie nicht an einem Schreibtisch. Wir sitzen gemeinsam an einem Tisch – auf Augenhöhe, ohne Barrieren. Die ganze Familie ist willkommen, jeder darf sprechen, jede Frage ist wichtig. Es geht um Ihren Menschen, um Ihre Trauer, um Ihren Abschied. Nicht um Kataloge und Abhaken.
Mein tiefstes Anliegen ist es, jeder Familie den Raum für ihren ganz persönlichen Abschied zu geben. Dafür haben wir bei Ruhelotsen klimatisierte Abschiedsräume geschaffen, zu denen Sie rund um die Uhr Zugang haben – so oft und so lange Sie möchten. Gemütlich und würdevoll. Nur Sie und Ihr verstorbener Mensch. Ohne Zeitdruck, ohne sterile Atmosphäre, ohne fremde Menschen.
Als Trauerredner nehme ich mir die Zeit, die Geschichte Ihres geliebten Menschen wirklich kennenzulernen. Ich möchte verstehen, wer dieser Mensch war – mit all seinen Eigenheiten, seinem Humor, seinen Leidenschaften. Denn nur so kann ich Worte finden, bei denen Sie sich wiedererkennen. Worte, die ehrlich sind. Worte, die passen.
Und wenn Sie die Urne oder den Sarg selbst zum Grab tragen möchten? Das ist nicht nur möglich, sondern selbstverständlich. Sie entscheiden, wie Sie Abschied nehmen. Sie entscheiden, was richtig ist für Sie und Ihre Familie.
Sie sollen die Möglichkeit haben, die Hand Ihres geliebten Menschen zu halten, Geschichten zu erzählen, zu weinen, zu lachen, Erinnerungen lebendig zu halten. Sie sollen sich verabschieden können – auf Ihre ganz eigene Weise, würdevoll und in dem Bewusstsein, dass wir als verlässliche Stütze an Ihrer Seite stehen.
Ein Abschied in Liebe und Würde ist das letzte Geschenk, das wir unseren Verstorbenen machen können. Und das Recht auf diesen Abschied sollte niemandem genommen werden.
Dies ist mehr als ein Versprechen – es ist meine Herzensaufgabe, geboren aus eigener Erfahrung und dem tiefen Wunsch, anderen Menschen den Trost und die Möglichkeit zu geben, die ich damals so schmerzlich vermisst habe.
In Erinnerung an Oma
✝ 10. November 2011
Manche Abschiede kommen zu früh.
Manche Umarmungen fehlen ein Leben lang.
Aber die Liebe bleibt für immer.